positives

Mittwoch, 30. April 2008

Wo bleibt das Positive?

auaG E G E B E N H E I T E N

Gegebenheit ist: Was uns gegeben ist: Kultur also und Sprache, oder umgekehrt auch richtig.

Wer sich um die Gegebenheit von Lyrik und Prosa kümmert, und wer die Generation vor 1933 ins Auge fasst, der muß dann doch irgendwann ein persönliches Ranking anlegen.

Gegebenheit ist die Forderung nach: Öffentlichkeit!

Was den Bereich der Lyrik anbelangt,
setze ich Erich Kästner auf den Platz 1!
Danach kommt eine lange Lücke.
Dann kommt lange nichts.
Dann kommen: Schwitters, Rilke, Brecht...

In Berlin erschien damals die Zeitschrift >Die Weltbühne<*. Kästner veröffentlichte dort seine Gedichte. Als die Faschisten regierten zog er sich zurück und schwieg lautstark. Er überlebte den Krieg und er schenkte uns dann wunderschöne Kinderbücher.

Man sehe sich aber Erich Kästners Beiträge in dieser Wochenschrift an: Es ist alles Vorangekündigt! Kästner sieht, sehr viel besser als Dante, die Pest die da heraufzieht. Kästner sieht die Umstände und er setzt dies, sprachlos machend, kunstvoll, in unerwartete Worte um. Alle Gedichte Kästners sind sehr gut, - manches ist genial. Dort wo Rilke begnadet wirkt, da ist Kästner rotzfrech. Wenn Brecht großmütterlich moralisch wird, da wird der Kästner zum Taubenvergifter. Wo Schwitters die Farbe als Regel gebietet, da verwirft es der Kästner und lacht darüber.

Ach so: Fehlt noch Prosa! - Da setze ich Karl Kraus und seine Zeitschrift >Die Fackel< auf Platz 1.

signaturlong
-----Nachtrag: 2. März 2008-----

Bezüglich meiner Einstellung lasse ich mich nicht beirren: Ich will hinfort, inmitten des sogenannten Schönen, wahrhaftig, nur das Hässliche sehen. Irgendwie fühle ich mich dazu verpflichtet. Wer Florian Silbereisen und Roberto Blanco als die Krone unserer Kultur vermitteln will, wird sowieso, irgenwann, von den Nachgeborenen demaskiert!

Nachstehend nun das Werk eines unserer 'verbrannten Dichter'. Es taucht in keinem Schulbuch auf, also hänge ich es hier ins Netz.

Ich empfehle allen Opas und Omis: dieses hellsichtige Gedicht ihren Enkelkindern zu vermitteln.

Sogenannte Klassefrauen

Sind sie nicht pfui teuflich anzuschauen?
Plötzlich färben sich die "Klassefrauen"
weil es Mode ist die Nägel rot!
Wenn es Mode wird, sie abzukauen
oder mit dem Hammer blauzuhauen,
tun sies auch. Und freuen sich halbtot.

Falls es Mode wird, die Brust zu färben
oder, falls man die nicht hat, den Bauch...
Wenn es Mode wird, als Kind zu sterben
oder sich die Hände gelbzugerben,
bis sie Handschuhn ähneln, tun sies auch.

Wenn es Mode wird, sich schwarzzuschmieren...
Wenn verrückte Gänse in Paris
sich die Haut wie Chinakrepp plissieren...
Wenn es Mode wird, auf allen Vieren
durch die Stadt zu kriechen, machen sies.

Wenn es gälte, Volapük zu lernen
und die Nasenlöcher zuzunähn
und die Schädeldecke zu entfernen
und das Bein zu heben an Laternen -
morgen könnten wirs bei ihnen sehn.

Denn sie fliegen wie mit Engelsflügeln
immer auf den ersten besten Mist.
Selbst das Schienbein würden sie sich bügeln!
Und sie sind auf keine Art zu zügeln,
wenn sie hören, daß was Mode ist.

Wenn's doch Mode würde zu verblöden!
Denn in dieser Hinsicht sind sie groß.
Wenn's doch Mode würde, diesen Kröten
jede Öffnung einzeln zuzulöten!
Denn dann wären wir sie endlich los.

Erich Kästner
Aus: Die Weltbühne 1930
- Erstes Halbjahr Nummer 4 - Seite: 152

signaturlong
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----- Nachtrag: 4. März 2008-----


Deutschland befand sich seit 1930 in einer "Gemengelage" der Befindlichkeiten, und diese Lage des Gemenges verschob sich in den nächsten zwei - drei Jahren immer mehr nach Rechts. Die 'Republik von Weimar' lag in den letzten Zügen. Die faschistischen Parolen waren in einigen Landesparlamenten obsolet. Die Christdemokraten übernahmen die Themen der Rechten, und Carl von Ossietzky wurde von diesen Leuten ins Zuchthaus gesperrt. Später erst, unter den Nazis, landete er dann im KZ.

Einige Mutige schrieben weiter. - Also nochmals Erich Kästner!

Ich habe dieses Gedicht "Denn ihr seid dumm" ebenfalls in keinem Lesebuch für Schulen gefunden.

Denn ihr seid dumm

Ihr und die Dummheit zieht in Viererreihen
in die Kasernen der Vergangenheit.
Glaubt nicht, daß wir uns wundern, wenn ihr schreit.
Denn was ihr denkt und tut, das ist zum Schreien.

Ihr kommt daher und laßt die Seele kochen.
Die Seele kocht, und die Vernunft erfriert.
Ihr liebt die Dummheit erst, wenn sie marschiert,
weil dann gesungen wird, und nicht gesprochen.

Es wäre leicht, die Dummheit zu verhüllen.
(So mancher gilt für klug, nur weil er schweigt.)
Ihr aber liebt die Dummheit, die man zeigt!
Man hört euch Tag und Nacht vor Dummheit brüllen.

Ihr wollt, daß man euch hört. Ihr wollt nicht hören.
Ihr haltet mit der Dummheit gleichen Schritt.
Wer nichts mehr zu verlieren hat, läuft mit.
Und fragt man, was ihr wollt, ruft ihr: "Zerstören!"

Ihr möchtet auf den Trümmern Rüben bauen,
und Kirchen und Kasernen wie noch nie.
Ihr sehnt euch heim zur alten Dynastie
und möchtet Fideikommißbrot kauen.

Ihr liebt den Haß und wollt die Welt dran messen.
Ihr werft dem Tier im Menschen Futter hin,
damit es wächst, das Tier, tief in euch drin!
Das Tier im Menschen soll den Menschen fressen.

Ihr liebt die Leute, die beim Töten sterben.
Und Helden nennt ihr sie nach altem Brauch.
Denn ihr seid dumm, und böse seid ihr auch.
Wer dumm und böse ist, rennt ins Verderben.

Marschiert vor Prinzen, die erschüttert weinen.
Ihr findet doch nur als Parade statt!
Es heißt ja: Was man nicht im Kopfe hat,
hat man gerechterweise in den Beinen.

Drum exerziert vor alten Generälen,
und schmeißt die Beine bis zum Himmelszelt!
Doch daß davon die Welt zusammenfällt,
das könnt ihr eurem Großpapa erzählen.

Ihr wollt die Uhrenzeiger rückwärts drehen
und glaubt, das ändere der Zeiten Lauf.
Dreht an der Uhr! Die Zeit hält niemand auf!
Nur eure Uhr wird nicht mehr richtig gehen.

Wie ihr's euch träumt, wird Deutschland nicht erwachen.
Denn ihr seid dumm, und seid nicht auserwählt.
Die Zeit wird kommen, da man sich erzählt:
Mit diesen Leuten war kein Staat zu machen!

Erich Kästner
Die Weltbühne -1932 - 2.Hj.Pg:164

signaturlong
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*Nach Athenäum-Verlag Königstein/Ts. 1978: Titel eines Jahresbandes: "Die Weltbühne - Der Schaubühne XXVI.Jahr - Wochenschrift für Politik-Kunst-Wirtschaft --- Begründet von Siegfried Jakobsohn - Unter Mitarbeit von Kurt Tucholsky - geleitet von Carl v.Ossietzky - 26.Jahrgang I.und II. Halbjahr 1930" - 'Die Weltbühne' wurde Anfang 1933 eingestellt
**Kästner hat nie geheiratet. Er war ein sogenanntes Muttersöhnchen, und das war auch gut so. Kästner überlebte den Faschismus als anonymer Drehbuchautor.

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